Ferne Frauen by Bodo Kirchhoff

Ferne Frauen by Bodo Kirchhoff

Autor:Bodo Kirchhoff
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2016-08-15T00:00:00+00:00


Tschakwau

Seit kurzem war ich wieder in Bangkok und lebte für mich. Die Regenzeit war vorbei, eine heiße Sonne trocknete die Stadt, doch längs des Flusses stand noch viel unter Wasser. Ich saß fast jeden Tag an einer Landungsstelle und sah den Kindern zu, die einen kleinen Fährdienst betrieben. Sie brachten die etwas Wohlhabenderen, die ihre Schuhe und langen Hosen schützen wollten, bis zur nächsten, nicht überschwemmten Straße. Die Kinder schoben und schleppten die Leute in selbstgezimmerten Kähnen durch das glitzernd braune, knietiefe Wasser. Die meisten dieser Kähne waren nicht größer als eine Badewanne; es gab sogar ein paar schnittige Modelle darunter, manche mit Namen.

Mehrmals täglich ließ ich mich übersetzen. So eine Tour von gut hundert Metern kostete umgerechnet dreißig Pfennig. Und weil ich ein häufiger Kunde war, freundete ich mich mit den Kindern vom Ta-Chang-Pier wie von selbst an. Am vertrautesten wurde mir Puan, ein dreizehnjähriger hübscher Junge (hübsch, wenn man nur Mund und Augen herausgriff, dazu noch das Haar und ein bißchen Phantasie). Er erzählte mir, daß seine Gruppe von fünf Kindern am Tag bis zu vierhundert Baht verdiene, knapp vierzig Mark, was über einhundertfünfzig Fahrten erfordere. Abends bekomme das Geld dann ihr Chief, der für sechs Familien die Verantwortung trage; sie alle lebten vom Hochwasser. Puan wurde mein Dolmetscher, und ich erfuhr noch manches über das Viertel (auch manches, das man gar nicht wissen will, wenn man sich für hübsche Augen und Münder interessiert, es stört nur den Blick).

Als das Wasser immer mehr zurückging, wurde es ruhiger am Fluß, und ich verlor die Lust, dort zu sitzen. Ich ging nicht mehr hin, ich blieb im Hotel, um zu schreiben. In der Bangkok Post las ich ein paar Tage später, die Flut sei besiegt, die Bewohner längs des Chao Phya hätten wieder festen Boden unter den Füßen …

Puan hatte mir auch erzählt, daß viele aus dem Viertel rauschgiftsüchtig seien. Und da die Kinder oft als Überbringer eingesetzt würden, säßen auch Kinder im Gefängnis, die jüngsten seien sieben. Das brachte mich auf den Gedanken, etwas über die gefangenen Kinder zu schreiben. Ich wandte mich an unsere Botschaft und fragte den Rechtsreferenten, ob es möglich sei, in ein thailändisches Gefängnis zu gehen. Der Rechtsreferent machte eine Aktennotiz und verneinte. Es sei nicht möglich für mich, leider, aber er besuche regelmäßig die Gefängnisse der Hauptstadt, um seine Leute zu sehen. Ich fragte, welche Leute, und weshalb sie in den Gefängnissen seien und wie lange, und er antwortete: Es sind junge Deutsche. Ein paar davon haben dreißig Jahre und mehr abzusitzen. Wegen dreißig Gramm Rauschgift. Jeder hat fünfundvierzig Zentimeter Raum, um zu schlafen. Mit den Jahren rückt man auf und bekommt einen Platz an der Wand; diese Laufbahn fängt neben der Pißrinne an … Er holte Luft, um fortzufahren, aber ich bedankte mich und ging. Ich gab es auf, über etwas von öffentlichem Interesse schreiben zu wollen.

Die Sonne brannte von Tag zu Tag heißer; ich begann mit einer anderen Arbeit. Ich fand früh aus dem Bett und saß bis zum Mittag auf meinem



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